Schweigen auf Italienisch

Vor zwei Jahren verbrachten wir die Ferien in einem italienischen Küstenstädtchen. Leider sind wir der Sprache nicht mächtig, sodass sich mit den Einheimischen wenig Kontakt ergab. Wie schön wäre es, diese Mauer des Schweigens in fließendem Italienisch zum Einsturz zu bringen!

 

„Wir sollten einen Italienisch Kurs machen“, schlug ich nach der Heimreise vor. Dabei schwirrte mir der Kopf voller romantischer Ideen, wie mein Mann und ich jeden Tag gemeinsam Vokabeln büffeln und ganze Nächte in geistreich italienischer Konversation verbringen. Seit drei Semestern besuchen wir nun die örtliche Volkshochschule. Es läuft anders als angedacht.

 

Italienisch für Anfänger

Die naiven Vorstellungen vom gemeinsamen Lernen habe ich ad acta gelegt. Mein Mann büffelt Vokabeln konstant und fleißig am liebsten in der S-Bahn zwischen Wohnort und Arbeit. Ich dagegen mache es wie in der Schulzeit und erledige Hausaufgaben unter Zeitdruck in letzter Minute. Als romantisches Paarprogramm nutzt der Kurs wenig, doch als Gruppenerfahrung ist er der Hit.

An andere Teilnehmende dachte ich erst, als wir plötzlich mit ihnen zusammensaßen und wie neugierige Erstklässler das Erscheinen des Lehrers erwarteten. In den ersten Stunden waberte noch die Urangst aller Schüler vor peinlichen Antworten durchs Klassenzimmer. Doch il nostro professore ließ den Leistungsdruck wie einen Luftballon platzen und vermittelt seitdem spielerische Freude am gemeinsamen Üben.

Wahrscheinlich wären wir unseren Mitschülern ohne Sprachkurs niemals begegnet. Wir brauchen auch nicht zu wissen, wie die jüngste Tochter unserer Banknachbarin heißt, wie alt ihr Vater ist und ob ihre Tante im Ausland lebt, solange uns die Lernbegeisterung miteinander verbindet.

 

Italienisch für Fortgeschrittene

Gerade in der breiigen Zeit des letzten Lockdown-Winters zeigte sich die Kostbarkeit dieser gemeinsam verbrachten Zeiten. Im Online-Format entwickelte sich der Kurs zum Sahnehäubchen der Woche, weil er so etwas wie Normalität bot. Da treffen Donnerstagabend acht Menschen aufeinander, die weder jammern noch Probleme wälzen, sondern einfach das Partizip Perfekt einüben. Waren wir davor ein locker zusammengewürfelter Haufen, hat uns der Zoom-Unterricht zur Gemeinschaft zusammengeschweißt. Im Sommer bekochte uns il nostro professore mit selbstgemachten Nudeln und anderen original piemontesischen Köstlichkeiten bei sich daheim. Und damit sich sein kleiner Sohn beim Essen nicht langweilt, brachte eine Teilnehmerin ihre jüngste Tochter mit. Deren Namen kennen wir jetzt auch.

 

Italienisch ohne Worte

„Lass uns ein bisschen Italienisch sprechen“, sagt mein Mann nach ausgiebigem Sonntagsfrühstück. Begeistert und überrascht nicke ich zustimmend. Weil wir uns derzeit mit besitzanzeigenden Fürwörtern und Verwandtschaftsbeziehungen befassen, könnte ich ihn nun fragen, wie unsere jüngste Tochter heißt, wie alt sein Vater ist und ob seine Tante im Ausland lebt. Eigentlich würde ich lieber geistreiche Konversation führen, doch dazu fehlt mir der Wortschatz. Also sage ich nichts. Auch mein Mann schweigt.

 

„Was heißt eigentlich Schweigen auf Italienisch“, frage ich in die lange Stille hinein.

„Keine Ahnung, warum?“

„Dann könnte ich jetzt sagen: „Wir schweigen gemeinsam auf Italienisch.“